Hallo! Ich bin Chris Kroiss.

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Liebe, Kunst und Klasse

31.5.2024

Hyperexpressionismus

Derzeit habe ich viele Ausstellungen, was großartig ist. Und Spaß macht. Nachdem ich aber privat ein total langweiliger Mensch bin, verbringe ich meine Freizeit am Sofa liegend und höre Musik oder schaue Netflix. Vergangene Woche wurde Matt Reeves „The Batman“ neu hinzugefügt. Da ist mir eingefallen, dass ich vor 2 Jahren, als der Film in den Kinos lief, einen Essay über den kostümierten Fledermaus-Mann geschrieben habe. Ich poste ihn jetzt hier. Viel Spaß beim Lesen!

Batman und Acrylnägel

Warum wir im popkulturellen Hyperexpressionismus angekommen sind

Essay von Chris Kroiss, Mai 2022

Ich bin etwas spät dran, balanciere einen viertel Liter Cola sowie eine großzügige Packung Popcorn über diverse Knie. Es ist Samstag. Nach 22:00. Der erste Mord ist bereits passiert. Ich lasse mich in meinen Sessel sinken, fühle mich gleichsam angekommen und hingedrückt. Nicht bloß durch die an einen Film Noir erinnernde Szenerie, die gedeckten Farben, sondern auch und vor allem wegen der Filmmusik. Es sind Fragmente von Sounds, puristisch und maximal düster. Und dann diese Fledermaus. Ich bin erleichtert, dass nichts an ihm mehr an den albernen, glitzernden Vampirjungen erinnert. Robert Pattinson trägt in einer der ersten Szenen ein schwarzes T-Shirt, zerzaustes Haar, eine schwarze Sonnenbrille. Ich schaue mir „The Batman“ von Regisseur  Matt Reeves im Kino an. Mit dem glatten Gelfrisuren Bruce Wayne gespielt von Christian Bale in der „Dark-Knight-Trilogie“ (Christopher Nolan, 2005-2012) hat der neue Bruce Wayne sehr wenig zu tun. Der frühere Teenstar sieht über weite Strecken des Films so aus, als ob er sein Leben nicht im Griff und die ganze Nacht im Berghain verbracht hätte. Zum Frühstück dann aber doch ein paar Beeren. Immerhin fordert der Spätkapitalismus einen gesunden, leistungsfähigen Körper. Und die Verbrecher:innen von Gotham City ihren Tribut. „The Batman“ ist in seiner Sprache ein Film der paradigmatisch für das Jahr 2022 steht. Die folgenden Zeilen sind ein Nachdenken über den Zusammenhang gesellschaftlichen Wandels und der Art und Weise wie wir uns Geschichten erzählen. Also bitte einsteigen ins Batmobil. Ein wunderbares Vehikel für eine Reise, auf der wir uns einer kurzen, popkulturelle Analyse gesellschaftspolitischer Auswirkungen auf unsere Bilder, Musik und Stories widmen. Gefolgt von einem Boxenstopp bei brandaktuellen Symbolismen, die mich dazu veranlassen zu behaupten, dass wir in einer hyperexpressiven Zeit leben. Aber mehr dazu später.

Ein Kino in Wien, nachts. Ein bisschen blurry, ein bisschen unheimlich.

Begonnen hat alles 1940. In diesem Jahr erschien der erste Batman, veröffentlicht im US-amerikanischen Verlag, DC Comics. Der Zeichner von Batman, Bill Finger, war stark beeinflusst vom deutschen Expressionissmus sowie dem Film Noir. Über die etwa 80 Jahre in denen die Story vom Verbrecher bekämpfenden nachtaktiven super-rich-kid Bruce Wayne bereits existiert, hat diese immer wieder den Zeitgeist gespiegelt! Die Darstellung des Anti-Helden meanderte im Spannungsfeld gesellschaftlicher Entwicklungen. Der Batman der 60er Jahre etwa (Batman hält die Welt in Atem, 1966) ist witzig, selbstironisch ein wenig  androgyn, ja genderfluid. Es wird der Zeit entsprechend ein Mann gezeigt, der seinen Status auf die Schippe nehmen kann: Immerhin war für die Hippies das Männlichkeitsbild vom pflichterfüllenden, patriotischen Amerikaner ein No-Go. Wenngleich sie selbst wiederrum Rollenbilder geschaffen haben, die nicht unbedingt vorteilhaft sind, aber das ist Thema eines anderen Essays. Aus dem Jahr 1973 gibt es einen amerikanischen Werbespot für das „Federal Equal Pay Law“ in dem Batgirl ihren Kameraden Batman sowie dessen Gehilfen Robin nicht von einem Mast losbindet, weil sie gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit fordert! Frauenstreik als Comic-Thema. Harley Quinn, ebenfalls Superschurkin aus dem Batman-Universum und ganz groß im 2020 erschienen Film „Birds of Prey – The Emancipation of Harley Quinn“ hätte das sicher unterstützt. Immerhin hat sie, nach der Trennung von ihrem toxischen boyfriend (besser bekannt als: der Joker) ihr Leben aufgeräumt. Sich einen neuen Job gesucht (als noch bösere Superschurkin) und eine neue Clique. Ganz Millennial-Frau eben. Die 00er Jahre ließen in emanzipatorischer Hinsicht ja zu Wünschen übrig und das refelktiert die „Dark Knight Triologie“ von Christopher Nolan. Rachel Dawes , Kindheitsfreundin von Bruce Wayne ist nicht unbedingt ein leuchtendes Beispiel für Eigeninitiative. Der Film wurde zu einer Zeit gemacht, zu der das Wort „Frauenpower“ noch als linguistischer Vorbote geschickt werden musste, wenn ein Film den Bechdel-Test bestand. Also alles prä #metoo. Rachel ist passiv. Sie interessiert sich ausschließlich für die Aufmerksamkeit der Männer, die sie umgeben. Total unrealistische Verhaltensweisen für eine Top-Anwältin. Nachdem ihre Persönlichkeit so nichtssagend ist, stimmt es auch nicht weiter traurig, dass sie im zweiten Teil der Triologie das Zeitliche segnet. Und das wegen einer Entscheidung, die Batman treffen muss. Was den dunklen Ritter noch rätselhafter und komplexer wirken lässt. Der Klassiker im Superhero-Narrativ also. Eine Frau* stirbt, um einen Helden leiden zu lassen, wodurch sein Heroismus noch heller erstrahlt.

painted poems auf Papier und secondhand Leinwänden, 2022 : Brauchen wir noch Geschichten über männliche Helden?

Die tragische Anti-Heldenhaftigkeit des „dark knight“, gespielt von Christian Bale hat praktisch gar nichts mehr zu tun mit dem funny Batman der 1960 Jahre („hand me down the shark resistant spray, Robin!“) Von 2005 bis 2012 wurden die Batman-Filme immer düsterer. Dieser Trend hin zu „Noir light“ in der Popkultur wurde stark durch Christopher Nolans Batman-Vision geprägt. Ein spannender Aspekt am Spiel von Christian Bale ist die moralisierte Skrupellosigkeit, mit der er seine Batmanfigur flirten lässt. Die Fähigkeit der vermeintlich Guten also, das zu tun, was „nötig ist“. Auch dahingehend reflektieren die Filme die Zeit in der sie gezeigt wurden wieder. Die USA befanden sich 2003-2011 im Krieg gegen den Irak. Das Thema des „starken Mannes“ (heute würde es toxisch genannt) der tut „was nötig ist“, war ein gesellschaftlich präsentes. Ein Film über einen lustigen Batman Typen der in bunten Kostümen gemeinsam mit seinem Spezi ein paar  Gangster jagt, hätte zu der Zeit relevante Fragen nicht aufgegriffen. Popkultur ist immer dann erfolgreich, wenn sie widerspiegelt, was aktuell passiert. Absorbiert und wieder ausspuckt. Und es ist anzunehmen, dass die Macher*innen von Batman immerzu an dem kommerziellen Erfolg der Filme interessiert waren. Was mitunter auch sehr uninspirierend sein kann. Nun gut. Zeit ists den Bogen zurück zu spannen zum neusten Batman. Die Metamorphose von Noir light hin zu Noir hat sich mit „The Batman“ nun komplett vollzogen. Wenn Jungle und später Drum ‚n‘ Bass die Musikrichtungen waren, die in den 90ern eine dystopische, urbane Kulisse im Ohr gebaut haben, dann schafft es Michael Giacchino, Komponist von „the Batman“, diese Kulisse wie ein Zeitumspannendes Netz von Burials „Untrue“ (Album, 2007)  über die Rohheit von Grime in eine düstere Metropole von heute zu spannen. Natürlich eignet sich der Grunge Klassiker „Something in the Way“ von Nirvana perfekt um gleichzeitig einen erdrückend reduzierten Klang aufzubauen und diesen mit der allgegenwärtigen Nostalgie-Liebe im Pop zu verknüpfen. In all dem Unheil, in dieser neuen Metropolis, versucht Millennial Bruce gespielt von Robert Pattison seinen Weg als Fledermaus zu finden. Wir sehen einen jungen Mann, troubled. Er lernt im Laufe des Films, dass er nicht alles alleine schaffen kann. Dass er Leute um sich braucht. Toxische Männlichkeit ist gecancelt. Die Entwicklung geht hin zum, wie ich es nennen möchte, besorgten Kollektiv. In einer Szene gegen Ende leitet Batman mit einer Fackel in den Händen eine Gruppe Menschen aus einem überfluteten Gebäude. Der Typ, der sich zu Beginn des Films vorstellte mit den Worten „Ich bin Vergeltung“ führt nun Menschen in Not aus braunen und schwarzen Fluten. Schemenhaft ist die Bewegung in den Wellen zu erkennen. Das Licht der Fackel leuchtet hell. Es erinnert mich an ein Gemälde von William Turner. Es ist gewiss kein direktes Zitat, etwa wie die gewollte Edward Hopper Szene, gegen Ende des Films. Als die Polizei den Superschurken „the Riddler“ in einem einsamen, verlassenen Cafe fasst. Doch ohne tatsächlich zitieren zu wollen hat der Film an vielen Stellen die Qualität expressiver Zeichnung. Ich denke an Werke des Österreichers Klemens Brosch (1894-1926). Auch Alfrend Kubin (1877-1959) sei hier, trotz seiner misogynen Weltanschaung genannt. „The Batman“ entfaltet sich vor dem Auge wie eine Verdammnis bringende Kubin-Landschaft. Selbst die Superschurken haben nichts Witziges mehr an sich. Als Kind konnte ich mich lustig machen über den Pinguin. Wie ernst zu nehmen kann ein Verbrecher sein, der sich nach einem Vogel benennt? Der Pinguin in „The Batman“ ist ein Nachtklub Besitzer, wohl eingebettet in Mafia-Strukturen. Und er sieht zum Fürchten aus. Selbst der Riddler, der früher einmal ein knallgrünes, doch etwas albernes Kostüm getragen hat ist nun ein Social Media nutzendes, psychopathisches Scheusal. Wer noch fehlt ist der Joker. Er hatte in diesem Batman noch keinen Auftritt, aber es ist anzunehmen, dass er im nächsten Film erscheinen wird. Wie wird er wohl aussehen? Während Christopher Nolan dazumals Heath Ledger riet, sich für seine Darstellung des Jokers durch Gemälde von Francis Bacon inspirieren zu lassen, könnte ich mir gut vorstellen, dass Matt Reeves Joker ein wenig aussehen wird, wie „Gwynplaine“. Die Figur „Gwynplaine“ , Protagonist des 1928 erschienene expressiven Films „The Man Who Laughs“ war Inspiration für den originalen DC Comic Joker. Back to the roots. Mit seinem manischen, dunklen Grinsen würde Conrad Veidt gut in den aktuellen Batman passen. Er würde Turnschuhe tragen, das wäre aber das Einzige was man ändern müsste, um ihn an unsere Zeit anzupassen. Wie kommt es, dass wir in einer derart Expressionismus affinen Zeit leben?

Gelnagel Massaker, 160×140 cm, Öl auf Leinwand, 2021

Ich wage zu behaupten, dass wir uns langsam aber sicher alle zu Mini-Expressionisten entwickeln. Dass wir angekommen sind in einer Zeit, die ich den „popkulturellen Hyperexpressionismus“ nenne. Das mag mehrer Gründe haben. Die Hyperbel ist von einem rethorischen Mittel, um außergewöhnliches Empfinden zu betonen zur sprachlichen Norm geworden. „Ich bin todmüde“ oder „ Dieser Kaffee heut Morgen hat mir das Leben gerettet“ sind Aussagen, die heute niemand mehr besonders findet. Weil jedes alltägliche Erlebnis zu einem besonderen Moment auserkoren werden kann. Das „Besondere“ ist die Norm geworden. Das  Präfix „Hyper“ geistert bereits seit geraumer Zeit durch die Popkultur. Wer nicht dannach strebt, sprachlich das maximale Empfinden zu bemühen, wirkt suspekt. Wir drücken uns ständig alle aus! Ständig und überbordent! (Bitte sich an dieser Stelle ein „der Schrei“-Emoji vorzustellen). Hinzukommt der Hang zur Theatralik auf Tik Tok, Instagram und anderen sozialen Medien. Was früher als ein wenig pupertär galt ist heute die Norm. Kafkas „die Verwandlung“ wäre ein wunderbares Thema für ein Reel auf TikTok. Die eigene Sicht, und das Zeigen der eigenen Sehweise. Ja, das die eigene Empfindung das Bild ergibt, das nach Außen projiziert wird. Dass ein Gesicht plötzlich nicht mehr menschlich ist, sondern etwas Tierisches hat. Einem Steppenwolf ähneln die vielen Tierchen-Filter auf Instagram und co wohl kaum  – Aber sind es nicht alles kleine, digital-expressive Porträts?

Eine Überbetonung der Gefühlswelt verknüpft mit einer hemmungslosen Mythologigierung des Selbst und der eigenen Biografie sind Merkmale des Expressionismus. Und Merkmale von Social Media. Hat Edvard Munch und nicht etwa Andy Warhol unsre Zeit vorweggenommen? Nicht zu vergessen ist der reale Schmerz, den die Welt derzeit fühlt. Zwei Jahre Pandemie, unzählige Tote. Krankheit, Leid. Klimakatastrophe. Und ein Krieg. Ein Krieg in der Ukraine. Millennials und Gen Z haben keinen Grund ihre Lieder in Dur zu singen und ihre Bilder in sanfte Farben zu tauchen. Wohntrends rund um beruhigende Türkis und Rose-Töne bilden in ihrer erzwingenden Tranquillité eingetaucht in Lavendel-Duftöl und Wellnessklänge bloß einen hermeneutisch nach außen abgeschotteten Raum. Ein Trend gegen diese rasend, unberechenbar gewordene Welt. Wir bremsen das Batmobil. Wir atmen kurz durch. Es gibt nicht bloß Gegenorte in Form von Ruheoasen. Es gibt auch Ruheorte von denen Rebellion ausgeht. Zeit für unseren Boxenstopp. Wir parken das Batmobil. Und zwar vor einem Nagelstudio.

Mein Versuch des Einschreibens in eine männlich dominierte Bilderwelt der expressiven Malerei: Acrylnägel abstrahieren, Symbolismen für Weiblichkeit malerisch erforschen

Nail Art ist der Trend der letzten Jahre! Keine Frauen* Hand ist sicher vor perfekt manikürten, ultraspitzen, Waffenartig aussehenden Acryl-Nägeln. In all ihren Erscheinungsformen, knallbunt, kunstvoll, simpel oder klassisch haben diese Nägel eines gemeinsam: Sie werden immer länger! In jedem zweiten Musikvideo tauchen die Krallen auf. Pionier*innen des Hyper-Nagels sind Nicki Minaj und Cardi B. Dann kam Billie Eilish. Und jetzt trägt sie praktisch jede*. Auch Selena aka Catwoman in „the Batman“. Selena ist ganz anders als Rachel Dawes aus „The Dark Knight.“  Selenas Leben ist auch ein bisschen fucked up, genauso wie bei Bruce. Die beiden bewegen sich aufeinander zu und wieder voneinander. Bruce will sie beschützen. Ihre Antwort: „Babe, ich kann auf mich selber aufpassen.“ Selena hat genug Probleme am Hals. Sie will zum Beipiel ihren Mafioso-Vater, den Falken, ermorden. Sie kann sich nicht allzuviel mit einem depressiven Typen wie Bruce auseinader setzen. Für Maniküre hat sie bei dem ganzen Stress aber natürlich trotzdem Zeit. Was sich als sehr hilfreich herausstellt! Immerhin zerkratzt sie ihrem Vater, der in einer Szene versucht sie zu erwürgen, mit ihren Krallen das Gesicht. Eine bildliche Metapher. Der 2020 erschiene Song von Cecile Believe „Bitch bites Dog“ scheint hier paradigmatisch für die letzten Todesseufzer des Patriacharts. „On or about 1910 human nature changed. All human relations shifted – those between masters and servants, husbands and wives, parents and children. And when human relations change, there is at the same time a change in religion, conduct, politics and literatur“ schrieb Virgina Woolf 1910 über die Zeit in der sie lebte. Ließt man dieses Zitat heute, klingt es nicht wie die Vorwegnahme des Expressionismus, sondern wie ein akurater Kommentar auf unsere Zeit. Und während sich hyperexpressive Symbolismen durch die Popkultur kratzen, stelle ich mir Selena vor, wie sie gemeinsam mit Batman und deren Verbündeten durch eine Alfred-Kubin-Horrorlandschaft sprintet um im Kollektiv die Geister die wir riefen zu jagen.

7.5.2024

Freiräume

„Können wir noch einen Kreis machen?“ „Ja, das können wir.“ „Ich will auch meine Sachen zeigen!“ „OK, leg es am besten in den Kreis.“ „Ich will auch!“ „Wir legen alle unsere Sachen in den Kreis und schauen sie uns gemeinsam an, OK?“

Das ist in etwa eine Unterhaltung, die ich so jede Woche vergangenen Winter geführt habe. Bei meinen Kinderkunstkursen wurde ausprobiert, erfunden, erprobt, verworfen, mal gebrüllt, gerannt und vor allem sehr viel gelacht.

Vergangene Woche bin ich in der Bräuhausgasse 31 gewesen. Wem die Adresse noch kein Begriff ist: Es handelt sich hierbei um ein altes Zinshaus in Zwischennutzung in dem es, so würde ich es beschreiben, sehr ähnlich zugeht wie bei meinen Kinderkunstkursen. 40 Künstler:innen haben dort ihre Ateliers. Es wird ausprobiert, erfunden, erprobt, verworfen, mal gebrüllt, gerannt und vor allem sehr viel gelacht. Ich hatte das Vergnügen bei einer Gruppenausstellung dabei zu sein. Neben vielen feinen Gesprächen gab es fliegende Palatschinken, Musik und sehr viel Farbe! Überall, an Decken, Wänden, Stiegenaufgängen. Eigentlich ist es schwer in dieser Bräuhausgasse 31 einen Fleck zu finden, wo es keine Farbe gibt.

Eine Wand in der Bräuhausgasse. Respektlosigkeit gegenüber Klassikern ist immer ein hervorragender Nährboden für künstlerisches Arbeiten.

Interessant an der Bräuhausgasse 31 ist ja, dass es sich hierbei nicht um ein Projekt handelt (bitte korrigiert mich, wenn ich mich irre), das durch Stadt oder Bund gefördert wird. Auch wird es nicht von „etablierten“ bzw. Künstler:innen aus dem Dunstkreis der Akademie der bildenden Künste sowie der Angewandten betrieben sondern größtenteils von Autodidakt:innen. Das macht das Projekt reizvoll. Es herrscht eine anarchistische Energie, die sehr fruchtbar sein kann und es wäre wirklich fein, würde das Projekt weiter gehen. Ich wäre sehr gespannt auf die Metamorphosen, die diese Bräuhausgasse 31 noch durchläuft!

Für den Anfang, der hoffentlich noch lange andauernden Geschichte der Bräuhausgasse 31 ist eines relevant: Es darf gezeigt werden. Und hier spannt sich der Bogen von den Kindern aus meinem Kurs, die voller Begeisterung auf und ab hüpfen und – wenn man ihnen den Freiraum lässt – quer durchs Zimmer flitzen, voller Farbe, mit 1000 Ideen im Kopf und begierig zu lernen und zu zeigen, was sie gemacht haben.

Denn vollkommen egal ob erwachsen oder Kind, ob Autodidakt:in oder akademische Maler:in, wir wollen alle eines: Herzeigen was wir gemacht haben.

Und es muss, soll und darf Räume geben wo das möglich ist! Einfach Herzeigen.

Es gibt sie sehr selten in Wien. Diese Räume wo einfach hergezeigt werden darf. Und deshalb sind sie kostbar. Wie diese eine feine Muschel, die du im Urlaub am Strand findest. Wenn sie plötzlich wie aus dem Nichts auftaucht und du denkst: Was für ein Glück!

Glück haben wir in Wien, mit dem Fortuna in der Westbahnstraße. Diesen kleinen, fantastischen Kunstraum gibt es nun schon seit über 5 Jahren. Mit Stehkalender-Prinzip. Das bedeutet, es gibt einen Stehkalender und in den darf sich eintragen, wer gerne ausstellen möchte. Ich höre die ersten Snobs herum heulen, dass Kunst machen eine ernste Angelegenheit sei und man nicht professionelle Künstler:innen mit Hobby-Künstler:innen verwechseln dürfe. Ich habe für jeden, der noch an die Integrität der Akteur:innen auf dem Kunstmarkt sowie die Qualität der Arbeiten dieser glaubt 2 Worte: Leon Löwentraut. Diskussion beendet. Und nun zurück zu den Dingen, die glücklich machen:

Das Fortuna ist ein Kulturverein. Ich weiß nicht, ob sie sich selbst so nennen würden, aber der Ausstellungsraum ist in die Kategorie Off-Spaces einzuordnen. Off-Spaces gibt es Viele in Wien. Man würde meinen, es ist dahingehend ein Leichtes für Künstler:innen Ausstellungsräume zu finden, die abseits des Mainstreams existieren. Nicht-Kommerzielle Ausstellungsräume von der Community für die Community, sozusagen. Dem ist leider nicht so. Viele Off-Spaces haben ein sehr spezifisches Programm und der Zugang gestaltet sich eher schwierig. Häufig gibt es viele Barrieren. Oft müssen Portfolios geschickt werden. Oder es gibt Open-Calls, für die man sich bewerben muss. All diese Dinge sind natürlich verständlich und es darf auch nicht vergessen werden, dass viele dieser Räume Programme erstellen müssen, wenn sie auf Förderungen angewiesen sind! Dahingehend wird es wohl für viele Räume wichtig sein, langfristig zu planen. Dadurch ist es allerdings eher selten möglich, zu experimentieren, einer Eingebung zu folgen, einfach mal zu machen. Ich persönlich finde das wirklich sehr schade. Ich bin eine Verfechterin dessen, die Labor-Situation nicht bloß im Atelier, in den Arbeitsprozessen, aufrecht zu erhalten, sondern auch den Ausstellungsraum als Labor zu begreifen. Auch beim Konzipieren, Kuratieren ja beim Gestalten von Ausstellungen kann und darf experimentiert werden! Und zum Experimentieren braucht es immer Freiheit, sprich möglichst wenig Vorgaben.

Das Fortuna bietet Raum für die Ideen der Künstler:innen. Jede Ausstellung ist komplett anders und das macht ganz einfach Spaß! Vor allem merkt man an den Ausstellungen, dass die Künstler:innen selbst das Sagen haben. Da gibt es niemand im Hintergrund, der sein einheitliches Layout, seine einheitliche Idee, sein Konzept über alle drüber legt. Das Fortuna ist wie ein Fenster in die Wiener Kunst und Kulturszene. Ein Fenster, im April, das frisch geputzt, nach den langen, harten Wintermonaten vom Staub und Schmutz befreit wurde, sodass man wieder einen unverstellten, klaren Blick haben kann.

Ein weiterer Freiraum, über den ich gerne schreiben möchte ist das Kaleidoskop im 5. Wiener Gemeindebezirk. Ein anarchistischer, queerfeministischer Freiraum.

Die lieben Menschen im Kaleidoskop haben eine Wand frisch gestrichen und mich dort ein paar Bilder aufhängen lassen. Die Ausstellungseröffnung war am 18.4.

Im Kaleidoskop gibt es Vorträge, workshops, ein Montagsbeisl und auch Küfa (Küche für Alle). Die politische Idee hinter dem Ganzen begründet sich im Anarchismus. Alles für Alle! Kein Gott, kein Geld, kein Staat! Wem das ein bisschen zu wild und crazy klingt, dem sei gesagt, dass sehr viel, das uns heute als sozialistisch und fest verankert in unseren geregelten Leben erscheint, wie etwa Volkshochschulen oder Gewerkschaften irgendwann Ideen waren, an deren Entstehung Anarchist:innen maßgeblich beteiligt waren. Verzeiht mir, falls ich den ein oder anderen historischen Fakt nicht zur 100% Zufriedenheit ausformuliere, ich lasse mich gerne eines Besseren belehren. Aber das hier ist ja auch keine Geschichtsstunde und außerdem ist Geschichte immer eine Frage der Perspektive der jeweiligen Gruppe, die sie erlebt und nieder geschrieben hat, nicht?

So oder so, sind anarchistische Ideen längst fixer Bestandteil des Mainstream und der Populärkultur. Auch wenn es beim ersten Hinschauen oft nicht erkennbar ist.

In der Generation der Millennials und Gen Z gibt es den Ausdruck des „quiet quitting“. Wörtlich übersetzt heißt es „leises Kündigen“. Es beschreibt eine Form der Arbeitsverweigerung. Weil es in sehr vielen Fällen für Millennials und Gen Z nicht mehr möglich ist durch Arbeiten zu Wohlstand zu gelangen funktioniert die Selbst-Definition über „Arbeit“ nicht mehr. Die Menschen wollen sich nicht mehr beim Job verausgaben. Die Leute wollen mehr als nur Arbeiten, sie wollen leben.

 „quiet quitting“ der jüngeren Generationen erinnert mich an einen Akt italienischer Anarchist:innen, die Operaisten, die im Norditalien der frühen 60er Jahre propagierten, einfach mal einen Schraubenschlüssel in die Maschinerie einer Fabrik zu werfen, um nicht mehr arbeiten zu müssen. Das aktive Sabotieren von Arbeitsprozessen als Ausdruck des Widerstandes ist subtiler geworden. Ist es still geworden? Vielleicht eine Anpassung an die immer subtiler werdende Kontrolle? „Mach das Beste aus dir!“ „Entwickle dich ständig weiter!“ Wer den Zeitgeist internalisiert hat braucht keinen Boss mehr, der einen antreibt, sondern ist sich selbst der schärfste Kritiker, die härteste Konkurrentin und der autoritärste Leader.

„quiet quitting“ ist demnach ein Akt der internalisierten Rebellion. Einfach nichts tun. Ein weiterer Akt dieser Form der Rebellion, den ich sehr schätze: Schlafen. Solange du schläfst bist du nicht zugänglich für Werbung, kannst nichts konsumieren und nicht „nützlich sein“. Malen ist auch ein feiner Akt der Rebellion. Also ich empfehle eine Mischung aus Malen und Schlafen. Dann steht einem glücklichen Leben nichts im Weg!

Einfach mal machen! Malerei für Alle Workshop im Kaleidoskop

Doch vollkommen gleich, ob es nun um den freien Ausdruck in der Kunst geht, um das (künstlerische, experimentelle) Aneignen von Räumen oder um die Frage wie man eigentlich leben möchte, es hilft die Dinge manchmal nicht allzu Ernst zu nehmen, zu spielen und einfach mal Sachen auszuprobieren! Dabei helfen Freiräume. Egal in welcher Lebensphase du gerade steckst, frag dich mal, ob du das alles so willst. Oder ists die Gesellschaft, die diese Dinge vorgibt? Ich denke an Sofie, die Protagonistin aus der Netflix-Serie „Liebe und Anarchie“ die Stück für Stück all ihre fixen Vorstellungen davon, was ein gelungenes Leben und eine Karriere ist, zerlegt und dabei vor allem eines wird: entspannt und glücklich.

Freiräume sind unglaublich wichtig! Und hoffentlich sprießen noch mehr knallbunte, entspannte und freundliche Räume wie Löwenzahn aus den museal anmutenden, konservativen Betonböden dieser viel zu sauberen Stadt.

Ich wünsche dir liebe:r Leser:in einen portablen Freiraum. Einen den du immer dabei hast. Vielleicht ist er im Kopf, vielleicht im Herzen, das entscheidest du selber. Hauptsache, du hast einen.

ich bin so froh, sagte der pinke Fisch, 24×30 cm, Acryl auf Leinwand, 2024

 

20.1.2024

Malerei für Alle!

Es ist Freitag, der 19. Jänner. Gleich beginnt unserer Gruppenausstellung im coffeesheep, ein kleiner, feiner Laden für guten Kaffee auf der Schönbrunner Straße. Ich spanne gedanklich den Bogen ein gutes Jahr zurück.

Es ist Winter gewesen und irgendwie hat mich alles genervt. Wie so oft im Winter. Mir war ein bisschen langweilig in meinem Atelier. Auch wenn uns während des Studiums immer erklärt wurde, dass die Malerei ein einsames Unterfangen ist, konnte ich mich mit dem Gedanken nicht ganz anfreunden, von nun an, seit ich mein Diplom hatte, alleine im Atelier zu prokrastinieren.

Um ganz ehrlich zu sein dachte ich: „Wie willst du als Künstler:in etwas Interessantes zu Stande bringen, ohne irgendwie das Leben in dein Atelier zu holen?“ Natürlich braucht es zum Malen das Alleine sein! Manchmal… Aber dieser krampfhafte Drang zu arbeiten, das Depressiv-sein, all diese Klischees, die über Maler:innen existieren, all die Ideen über das Künstler:in sein, die nach wie vor in den Köpfen herum spuken, die haben mich schon immer total gelangweilt.  

Und dann kam mir die Idee Kunstkurse anzubieten. Zuerst über die Wiener Volkshochschule. In einem dieser Kurse saßen 2 junge Frauen, die genauso wie ich in Sozialberufen arbeiten. Und einen Faible hatten fürs Malen und Zeichnen. Als die Kurse an der Volkshochschule vorbei waren lud ich die Mädels ein, in mein Atelier zu kommen und dort einen weiteren Malerei-Kurs zu machen. Es kamen noch mehr Frauen* dazu. Manche gingen wieder, waren nur ein paar Mal dabei, aber das ist OK. Schöne Nachmittage und Abende hatten wir! Nathalie und Fiona sind übrig geblieben und Freundinnen geworden. Und auch wenn sich die Beiden beruflich nicht mit Kunst befassen verbindet uns die Liebe zum Zeichnen und Malen.

Ich freu mich, dass sie bei mir etwas über Malerei gelernt haben. Und ich freue mich, dass ich von ihnen gelernt habe. Die Beiden beim Arbeiten zu sehen, das hat mich auch wieder daran erinnert, wie es sich für mich angefühlt hat, als ich begonnen hab an der Kunsthochschule zu studieren. Dass das Malen so einfach ist. Warum sollte es kompliziert sein? Dass es Spaß macht. Und dass ich Malerei einfach liebe.

Es ist mir immer total auf die Nerven gegangen, dass die bildende Kunst so elitär ist. Es gibt Statistiken darüber, dass kaum Leute aus der Arbeiter:innen-Schicht an der Akademie der bildenden Künste studieren. Schon während dem Studium hab ich gespürt, wie abgehoben das alles ist.

Künstlerisch hat mir auch immer das Zeug am besten gefallen, dass anti-autoritär und anti-elitär gewesen ist. Ich bin ein Punk und natürlich finde ich bad painting gut. Aber Vieles in der bildenden Kunst ist einfach nur Show, bloß Attitüde. Dabei stecken wir in Mitten multipler Krisen. Unser Planet stirbt. Es herrscht ein Krieg in Europa. Rechtsextreme sind auf dem Vormarsch. Geht sich das noch aus? Als Künstler:in alles auf einer Meta-Ebene zu begreifen, sich abzugrenzen von der Realität und in den Elfenbeintürmen des Bildungsbürgertums Themen in einer Sprache zu diskutieren, die an der Lebensrealität der allermeisten Menschen komplett vorüber geht? Ist es noch OK alles zu ironisieren? Auf Tik Tok und Instagram herum zu kaspern? Wo zur Hölle haben wir uns da alle gemeinsam hineinmanövriert?

Irgendwie hab ich überhaupt keine Lust auf all das. Ich finde aber, dass herum labern, sich beschweren und alles kritisieren auf Dauer überhaupt niemanden hilf.

Deshalb mache ich einfach das was ich gut finde und es ist schön, wenn Leute mit machen wollen, dass Leute dabei sind, wenn ich sage:

Malerei für Alle!

Malerei ist bei mir eine soziale Praxis.

Das Malen und das Anschauen von Bildern ist nichts, das elitär sein sollte. Es sollte für jede* und für jeden* sein. Und darum mache ich die Kunstkurse und darum freuts mich total, wenn dann aus so einem Kurs eine Ausstellung entsteht, wie die, die nun im coffee sheep in der Schönbrunner Straße zu sehen war.

21.11.2023

Diese dumme Liebe

Ich sitze in einem Wiener Café und starre den Lampenschirm an. Schick ist der. Ich habe ewig nicht geschrieben. Zumindest fühlt es sich so an. Mein kleiner Ausflug ins österreichische Schulsystem war zeitintensiv. Ich hatte die vergangenen Monate das zweifelhafte Vergnügen, den Schulalltag noch einmal zu erleben. Als Lehrerin. Leider ist Schule nach wie vor geprägt von Autoritätsglauben und hierarchischen Denken. Diese Dinge verrotten keineswegs in der Mottenkiste des österreichischen Bildungssystems. Sie sind vital und wuchern lebendig vor sich hin.

Aber zu meinen Erfahrungen mit dem österreichischen Bildungssystem ein andermal. Seit dem Sommer brennt mir ein Text unter den Nägeln, den ich noch nicht geschafft habe zu schreiben. Mein Blog-Experiment heißt „Liebe, Kunst und Klasse“. Ich habe über Kunst und ich habe über Klasse geschrieben.

Über Liebe noch kein Wort. Vielleicht ist es nun an der Zeit genau das zu tun. “Give me your stupid love“, trällert mir Lady Gaga in die Ohren. Die Frage die dieser Text stellt:

Ist Liebe dumm?

Diese dumme Liebe. Video, © Chris Kroiss, Sommer 2023

Ich sitze nun schon seit einigen Jahren auf der Ersatzbank und werde nicht eingewechselt. Um es mit den Worten der deutschen Autorin Katja Kullmann zu sagen, „am Spielfeldrand der Liebe“. Ich beobachte, was am Spielfeld so passiert. Wer wem zupasst, welche Bälle versenkt werden und wie oft beim Elfmeter schießen einer daneben geht. Also aus der Beobachtungsperspektive schaut Liebe ziemlich dumm aus …

Was mich immer wieder wundert ist, wie Frauen* von vernunftbegabten Individuen, die tolle Jobs, eigene Wohnungen und zufriedenstellende Leben haben plötzlich zu bedürftigen, wimmernden, kleinen Vögelchen mutieren, die heulend zu Hause hocken und in aktiven Momenten wie 1 ausgehungerter, depressiver Aasgeier um die verwesende Frage kreisen: Warum schreibt er mir nicht zurück?

Die toughste Feminist*in ist verliebt plötzlich bereit Unmengen an Mental Load auf ihr Haupt zu laden, um dem minderbemittelten 0815 Hetero-Mann ihrer Wahl unzählige Hilfestellungen zu liefern, damit er herausfindet, wie er sich denn tatsächlich fühlt. Mit der Frau*, seinem Leben, dem Beruf. Was auch immer das Männerherz belastet, sie ist da. Sie hört zu. Sie trägt und erträgt.

An dieser Stelle sei erwähnt: Lieber Mann*, der du diesen Text liest, solltest du dich mit „minderbemittelter 0815 Hetero-Mann“ nicht angesprochen fühlen, dann solidarisiere dich bitte auch nicht mit dieser Gruppe. Du gehörst nicht dazu. Solidarisiere dich lieber mit Frauen*. Oder irgendeiner anderen Minderheit, die es noch nicht geschafft hat, in der Mitte der Gesellschaft anzukommen. Wir brauchen dich! Ironie beiseite, ich meine das ganz ehrlich: Jeder feministische Mann*, dem es wirklich ein Anliegen ist, dass Männer* und Frauen* gleichberechtigt werden, ist ein Gewinn für den Feminismus! Das ist meine Meinung. Natürlich muss schon eine Ernsthaftigkeit dahinter sein! Sich auf Tinder ins Profil zu schreiben „I’m a feminist“ um mehr Mädels abzuschleppen oder zu Halloween als Ken verkleidet auf der Party deines Dates aufzutauchen reicht leider noch nicht, um wirklich ein Feminist zu sein. Sorry. Versuchs weiter! Wenn du allerdings weißt, was mit „emotionaler Arbeit“ gemeint ist, dann bist du schon ganz gut unterwegs!

Die elende Emotionsarbeit.

Da werden Ohren abgekaut. Es wird sich am Busen ausgeheult (wie früher bei Mutti). Sätze werden gewendet und gedreht. Die Syntax gedehnt. Genauso wie die Geduld der Frauen*, die die Emotionsarbeit seit Jahrhunderten verrichten. Erstaunlicher Weise scheinen die Dehnungsstreifen auf ihrer Geduld viele Frauen* nicht im Geringsten zu stören. Und obwohl viele Frauen* sich spätestens mit Anfang 30 viel Mühe geben, den „Mann* der Träume“ zu finden und zu halten, lässt sie die „wahre Liebe“ dann oft genauso hängen, wie ihr Bindegewebe. Da hilft auch diese tolle Leggings, die Kim Kardashian erfunden hat, nicht mehr viel.

Im vergangenen Sommer habe ich in der Kim Kardashian der Wiener Zeitungen, dem Falter ***, einen Artikel gelesen. Da ging es um die Studie einer US-amerikanischen Wissenschaftlerin, Marcia C. Inhorn. Der Artikel plädierte dafür, dass Frauen* sich mit weniger gebildeten Männern* abgeben sollten. Es ist augenscheinlich nach wie vor so, dass Frauen* tendenziell Partner wählen (möchten) die bessere Bildungsabschlüsse als sie selbst haben. Ich frage mich, woran liegt das? Ich denke, eine mögliche Erklärung könnte sein, dass Frauen* um ihre Benachteiligung im Patriarchat sehr genau Bescheid wissen. Der Heiratsmarkt ist für viele Frauen* nach wie vor lukrativer als die freie Wirtschaft. Immerhin ist allseits bekannt, dass Frauen* für die gleiche Arbeit weniger verdienen. In Österreich ist der Unterschied besonders eklatant. Der sogenannte „Gender Pay Gap“ also der Unterschied in Prozent zwischen der Entlohnung der Geschlechter liegt hierzulande bei 18,8 %. Selbst top ausgebildete Frauen* dürften sich diesem kollektiven, weiblichen Wissen um die eigene Benachteiligung nicht entziehen können. Was eine Erklärung dafür sein könnte, dass Ärztinnen lieber Ärzte heiraten als Krankenpfleger. Dass eine Unternehmerin keinen Frisör heiratet und eine Juristin keinen Spengler datet.

Marcia Inhorn erklärte in besagtem Artikel, dass es zwischen Frauen* und Männern* nicht bloß den Gender Pay Gap gibt, sondern auch einen sogenannte „Mating Gap“. Soviele Spalten, es muss höllisch aufgepasst werden, nicht irgendwo hinein zu fallen. Der „Mating Gap“ besagt, dass es für gebildete Frauen* auf der ganzen Welt zu wenig Männer* gibt die „auf Augenhöhe“ stehen, so Inhorn. Es schließen immer mehr Frauen* Universitätsausbildungen ab. Weitaus mehr als Männer*. Und diese Frauen* finden dann keine ebenso gut ausgebildeten Partner. Weil es sie nicht gibt. Dadurch entstehe, so Inhorn, eine sogenannte „Paarungslücke“.

Jetzt einmal in aller Offenheit: Ich denke, eine Paarungslücke ist besser als eine Zahnlücke. Gut ausgebildet zu sein schafft finanzielle Stabilität und die Möglichkeit für Frauen* komfortabel zu leben. Und das ist wichtiger, als „sich zu paaren“. Ich finde diese ganzen Termini hochinteressant. Feminist*innen, Wissenschaftler*innen und andre kluge Frauen* sprechen ständig von „Lücken“ „Spalten“ und „Ladungen“. „Mental Load“ „Gender Pay Gap“ „Mating Gap“. Und immer wieder beschleicht mich das Gefühl, die Ladungen werden zwar fleißig benannt, aber nach wie vor bereitwillig getragen und ertragen. Anstatt sie eben abzuladen. Die Lücken werden befüllt, anstatt sie einfach Lücke sein zu lassen! Eine Leerstelle kann gut tun. Wieso muss von „Paarungslücke“ gesprochen werden? Womöglich ist es eine gesunde „Paarungsleerstelle“ wenn Frauen nicht mehr den Drang oder gesellschaftlichen Zwang verspüren gebären zu müssen. Es gibt bereits viele Kinder auf der Welt, die Hilfe und ein liebevolles Zuhause brauchen. Und um es mit den Worten der Philosophin Donna Haraway zu sagen: “Make kin, not babies.“ „Macht euch verwandt, keine Babys.“ Ist es nicht viel schöner, sich um einen Planeten, das Klima und alle Lebewesen zu kümmern, die bereits da sind? Wieso neue machen? Warum ist es nach wie vor oberste Priorität westlicher Gesellschaften Frauen zum Gebären zu bringen?

Ich denke an eine Arbeit der Künstlerin Valie Export. „Die Geburtenmadonna“. Diese großartige Fotocollage bringt für mich das Märchen rund um die alle Erwartungen erfüllende, moderne Frau* auf den Punkt. Dem Narrativ der glücklich Gebärenden folgend entbindet diese Madonna frische Wäsche. Sie reproduziert. Denn das ist es, was Frauen* zu tun haben. Reproduktive Arbeit leisten. Das ist ihre gesellschaftliche Aufgabe seit der Jungfrau Maria.

Bei der ganzen reproduktiven Arbeit bleibt gar keine Zeit für das worum es geht. Foto © Chris Kroiss 2023

Und wenn ich lese, dass gebildete Frauen* sich mit weniger gebildeten Männern „paaren“ sollen, wundere ich mich darüber. Ich wäre sehr dafür, dass Klassengrenzen auch bei der Liebe überwunden werden, wie es die Anthropologin Marcia Inhorn fordert. Aber nicht aus Fortpflanzungsgründen. Sondern ganz einfach, wegen der Liebe.

Vielleicht macht Liebe viel mehr Spaß, wenn sie frei von Gedanken rund um Status und Klasse ist. Aber nicht so, wie es sich ein alter, weißer 68er vorstellt. Keine „Freie Liebe“ in dem Sinne. Sondern ganz anders. Eine Definition die noch weiter geht. Eine Liebe, die sich von Stereotypen und Sexismen befreit.

Um herauszufinden, wie Liebe tatsächlich frei sein könnte, ist es vielleicht gar nicht so schlecht, sich am Spielfeldrand besagten Phänomens aufzuhalten. Derzeit ists so, dass ich die Erfahrung gemacht habe, dass alle „eingewechselt“ werden und „ins Spiel kommen“ wollen. Sobald sie dann „im Spiel sind“ rennen sie. Sie rennen all den Regeln nach und kommen dabei ganz schön aus der Puste. Zusammenziehen, heiraten, Kinder kriegen. Es gilt so viel wie möglich im Spielverlauf zu erreichen. Und so sitze ich auf der Bank. Schaue zu und wundere mich. Mir gefällt es ganz gut auf meiner Solo-Bank. Der Trend bewegt sich ohnehin zur „Singularisierung“.

Graffiti. Hab ich gesehn in DER Stadt des Singles, NYC © Chris Kroiss 2023

Die deutsche Journalistin und Autorin, Katja Kullmann beschreibt in ihrem fabelhaften Buch, „Die singuläre Frau“, das Phänomen, dass Frauen* langsam bewusst wird, wie gut sie es eigentlich ohne einen Partner haben. Es gibt bereits unzählige Studien, die zeigen, dass unverheiratete, alleinstehende Frauen* die glücklichsten Menschen unserer Gesellschaft sind. Und vielleicht müssen wir das große Spektrum der Liebeserscheinungen um eine Lebensform ergänzen: Das Solo-sein. Die Beziehung mit sich selber als eine legitime Lebensentscheidung. Es lässt sich nicht leugnen, der Zeitgeist spukt durch Frauen*gehirne. Es liegt etwas in der Luft. Vor diesem Hintergrund ist auch der vergangenen Sommer erschienene „Barbie“-Film zu verstehen. Eine junge Frau, die sich noch mit den Abscheulichkeiten des Patriachats auseinander setzen muss, aber bereits etwas vollkommen anderes lebt. Oder besser: versucht zu leben. Sie ist sich ihrer eigenen Unzulänglichkeit, ihrer Verletzlichkeit bewusst und genau das macht sie so stark. Wie Taylor Swift in ihrem Song „Anti-Hero“ besingt: “It’s me. Hi! I’m the problem, it’s me,“ weiß die Millennial Frau* ganz genau, dass sie absolut imperfekt ist, und das die Bedingungen zwar so gut wie noch nie aber dennoch nach wie vor suboptimal für ein Leben als freie Frau* sind. An dieser Stelle muss erwähnt werden, es sei mir mein weißer Blick verziehen. Ich bin eine Kartoffel und es erscheint mir klüger, women* of colour nehmen sich um diese – alle Frauen* betreffenden Probleme – auf ihre Art an und bringen ihre eigenen Sichtweisen ein.

Ich werde nun spoilern. Also wer den Barbie Film tatsächlich nicht gesehen hat und das noch tun möchte, möge nun aufhören zu lesen. Ich habe mich mit vielen Freund*innen über diesen Film unterhalten. Einige empfanden den surrealen wild ride über das verkorkste Leben einer Plastikpuppe als dürftig interessant. Andere feierten den Film als ein feministisches Meisterwerk. Ich zähle mich zur zweiten Gruppe. Ich sehe, warum der Film kritisiert werden soll und muss. Allerdings schaffte er es, ein kollektives Erleben von Frauen* über ihren Status im Patriarchat zu evozieren. Und das ist eine bemerkenswerte Leistung! Ein Kinosaal voller Frauen*, die alle wissend lachen, weinen und gemeinsam erleben. Alleine dafür ist Greta Gerwig zu danken! Am Ende des Films entscheidet sich Barbie für „das echte Leben“ und gegen die Traumwelt, mit einem Ken, der gespielt von Ryan Gosling schreiend komisch die liebenswerte Klischee-Hetero-Unfähigkeit eines jeden Basic Hans auf den Punkt bringt. In der letzten Szene des Films geht Barbie in Birkenstock Schlapfen zum Frauenarzt. Sie macht ganz normales Zeug, das „ganz normale Frauen*“ machen. Nichts daran ist außergewöhnlich. Und vielleicht ist das, neben der feministischen Aussage des Films noch eine weitaus relevantere: Barbie macht nix Außergewöhnliches. Und sie ist genug. Sie mag ihre Probleme haben. Keinen Plan, keinen Job und keinen Mann*. Aber das passt schon alles so. Sie ist OK. So wie sie ist. Wenn wir uns einfach alle so lassen könnten, wie wir eben sind, vielleicht wäre das mit den Beziehungen dann auch irgendwie einfacher. Dann würden sich Menschen lieb haben. Nicht Kategorien und Vorstellungen über die Rolle des jeweils anderen. Mann-Frau; Hobby-Hobby; Statussymbol-Job; Oder in Orten ausgedrückt: Eine Eigentumswohnung ein Landhaus, ein Beisl eine Würstelbude, eine Gemeindewohnung ein WG-Zimmer oder ein Tennisplatz einen Swimming Pool. Denn wir treffen unsere Liebesentscheidungen nicht in einem Vakuum aus Gefühl und Ehrlichkeit. Genderrollen in Verbindung mit Klasse spielen eine erhebliche Rolle! Wenn wir das hinter uns ließen …

Wenn wir ein bisschen entspannter sein könnten mit uns selber und den Menschen die wir begehren. Wenn Liebe nicht mehr dazu da wäre, Treffer zu landen am Spielfeld der großen Erwartungen und Träumereien. Dann wäre sie womöglich gar nicht mehr so dumm, wie Lady Gaga singt.

Zungenkuss, 100 x 79 cm, Acryl auf Leinwand, 2023

Quellen:

Artikel, „Frauen sollten sich mit weniger gebildeten Männern abgeben“ FALTER 34/2023 VOM 22.08.2023

Die Singuläre Frau. Katja Kullmann. Hanser Berlin. 2. Auflage. 2022.

*** das meine ich als Kompliment. Ich schätze Kim Kardashian. Genauso den Falter.

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  • Liebe, Kunst und Klasse

    5.6.2023

    Wir brauchen einander. Soviel steht fest. Innerhalb der Gesellschaft brauchen Männer* Frauen*, die Alten brauchen die Jungen und umgekehrt, Kinder brauchen Eltern und Erwachsene brauchen Kinder. Der Mensch ist ein soziales Wesen, schon immer gewesen. Es geht uns nicht gut, wenn wir uns einsam fühlen, wenn wir das Gefühl haben, dass uns niemand versteht oder hilft.

    hardy plants je 24 x 18 cm, Acryl, Kreide und Sprühfarbe auf Holzbox, 2023

    Aber wir leben innerhalb einer Wirtschaftsordnung, die uns singularisiert. Wo uns tagtäglich erklärt wird, dass wir in Konkurrenz zueinander stehen müssen. Es ist ein Diktat, dem wir uns beugen. Und so hasten wir uns ab, um uns in unseren Leistungen ständig gegenseitig überbieten zu können. Wenn wir dabei ein schlechtes Gewissen bekommen, weil wegen dieser Arbeitshaltung zu wenig Zeit bleibt für andere Menschen, so wird uns immer wieder eingetrichtert, dass es notwendig sei, an den eigenen Vorteil anstatt an das Wohl anderer zu denken.Wer keine Freunde hat, dem kann seine Gefolgschaft im Internet Trost schenken. Wer Zahnschmerzen hat und niemanden dem er es erzählen kann, dem gibt eine App Gesundheitstipps. Und obendrein noch ein paar Hinweise wie die eigene Gesundheit, der Körper in Zukunft zu optimieren ist.

    Das scheint das Wichtigste zu sein in einer Gesellschaft die so schnell ist, dass sie droht sich selbst zu überholen. Hoffentlich tut sie das nicht auf der rechten Spur.

    Und dann ist da die Kunst. Die Kultur. Künstler*innen sind nach meiner Auffassung Kulturarbeiter*innen. Sie haben die verantwortungsvolle Aufgabe Bilder zu erschaffen, Musik aus dem Nichts zu komponieren, Texte zu erzeugen. Sie machen Kultur, beeinflussen in einem erheblichen Ausmaß, wie wir leben. Warum das so ist? Weil sie mit Wahrnehmung arbeiten. Das ist das Tätigkeitsfeld einer Künstler*in. Die Wahrnehmung, die Bedürfnisse, die Sehnsüchte, die Interessen, die Gedanken der Menschen. Oft scheint es mir so, als ob Künstler*innen sich dieser Verantwortung nicht bewusst wären.

    Dabei schaffen sie ihre Werke für Menschen.  Denn ein Text ist wertlos, wenn er von niemanden gelesen wird Ein Bild oder ein Lied braucht es gesehen, gehört zu werden.

    Malerei an einer Holztafel/Außenwand für die Ausstellung „Zu glücklich für Wien“

    Kunst ist in einem erheblichen Ausmaß sozial. Und dann schaue ich mir den Kunstmarkt an. Wie nirgendwo anders herrschen hier die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus.

    Wie diese Hybris aufhalten? Was belohnt wird sind Leute, die es schaffen, immer genau dasselbe zu machen. Es gilt gemeinhin als Qualitätsmerkmal, wenn es eine Künstler*in schafft mehr oder weniger dasselbe Bild, dasselbe Werk immer und immer und immer wieder zu reproduzieren. Es mutet an wie ein Loop in dem sich erfolgreiche Künstler*innen befinden. Und so bewegen sie sich, im Takt des Geldes. Gleichzeitig werden nach wie vor Künstler*innen, die vielseitig waren für ihre Genialität gefeiert. Picasso malte am Vormittag realistisch und am Nachmittag kubistisch. Wäre Picasso jetzt so alt wie ich würde er kein Instagram-Star sein. Der Algorithmus wäre mit seinen Bildern überfordert. Sie wären zu unterschiedlich. Galeristen würden ihm raten, sich auf einen Stil fest zu legen und bloß einen Stil zu verfolgen. Immer die gleichen Farben, Sujets und Posen. Künstler*innen heute beugen sich dieser Diktion (Weil sie müssen?)

    So gesehen sind Künstler*innen die perfekten Arbeiter*innen für den Kapitalismus! Wie Bedienstete einer Factory stehen sie am Fließband der Kunst und produzieren unermüdlich den abstrakten Minimalismus, den objektifizierten Frauenkörper oder ganz einfach das dunkelbraune, das dunkelrote, oder das beige Bild, das so hervorragend in die Küche, das Wohnzimmer, die Toilette der Luxusyacht xy von Käufer xy passt.

    Künstler*innen beschweren sich nicht. Sie arbeiten gerne in unsicheren Arbeitsverhältnissen. Sie erhalten keine Löhne, werden nicht angestellt, bekommen keine Honorare für ihre Ausstellungen. Sie bekommen keine Sicherheit.

    Sie leben für den Traum.

    Diesen Traum irgendwann zu dem 1 % zu gehören, das bekannt geworden ist. Dieses 1% das es geschafft hat nährt die wildesten Fantasien doch sättigt weder emotional noch pekuniär. Diese Art zu leben macht auf Dauer krank. Und wenn viele Künstler*innen Probleme haben mit ihrer psychischen oder körperlichen Gesundheit, dann müssen wir die Frage stellen, ob es vielleicht damit zusammenhängt, dass sie in extrem unsicheren Arbeitsverhältnissen stecken?

    Natürlich spielt das alles keine Rolle für Leute, die ohnehin aus wohlhabenden Familien stammen! Es ist ein Privileg, nicht zusätzlich arbeiten zu müssen und all seine Zeit ins Kunst schaffen investieren zu dürfen. Es ist ein Privileg durch die Familie bereits gute Kontakte zu haben. Es erleichtert vieles, es stoßt Türen auf, schafft unzählige Möglichkeiten. Möglichkeiten, die Tochter eines Bauarbeiters oder der Sohn einer alleinerziehenden Frisörin ganz einfach nicht hat!

    Auch wenn ich es kritisiere, dass viele sich ihrer Privilegien nicht bewusst sind, finde ich es wichtig zu betonen, dass es nichts daran ändert, dass wir alle einander brauchen!  Das dürfen wir nicht vergessen. Und es ist schön, wenn Leute einfach Kunst schaffen können ohne Sorge ums Geld. Ich freue mich für sie! Aber es wäre schön, wenn sie anfangen, sich ihrer Privilegien bewusst zu werden. Das gilt übrigens für uns alle.

    Warum stört es niemanden, dass es nach wie vor so ist, dass Frauen* zwar an den Kunsthochschulen in der Überzahl sind, aber nach dem Diplom nicht in demselben Ausmaß bei Galerien vertreten sind? Viele Galerien denken, so scheint es mir, es sei bereits feministisch, 2-3 Frauen im Portfolio zu haben. Sie bewerben das dann groß und es wirkt so als ob sie sich sehr progressiv fühlen würden. Doch es ist zu wenig! Solange es nach wie vor soziale Mechanismen gibt, die Männern einen Vorteil verschaffen, sind wir noch nicht da wo wir sein sollten. Es gibt nach wie vor den männlichen Galeristen, gleich ob jung oder alt, und seinen Maler, seinen guten Freund, mit dem er auf die Messen fährt und gemeinsam Ausstellungen plant. Weil Männer sich halt gut mit anderen Männern unterhalten können und es angenehm ist, unter seinesgleichen zu bleiben. Daran ist auch per se nichts verwerflich, doch – sollte nicht das Talent eines Menschen mehr zählen, als sein Geschlecht?

    Doch nicht bloß Frauen* spüren diese gläsernen Decken. Auch Menschen mit Behinderung. Auch Menschen, deren Haut dunkel ist. Dieses Gefühl, in sozialen Situationen, das Gefühl irgendwie fehl am Platz zu sein, irgendwie anders wahrgenommen zu werden.

    Wir sprechen nun alle viel über Gleichberechtigung, über Sichtbarkeit und Wokeness. Und auch wenn es Einzelne schaffen und zu großen Superstars werden, bleiben die Bedingungen für die meisten Kunstschaffenden gelinde gesagt katastrophal. Wie lange wollen wir das noch so hinnehmen?

    Ich habe entschieden, dass das Malen für mich eine soziale Praxis ist.

    Das ist meine Definition vom Kunst schaffen. Sie entsteht und existiert immer im Kontext gesellschaftlicher Entwicklung. Ich freue mich immer sehr, bei meinen Ausstellungen Menschen zu begegnen, Gespräche zu führen und Neues zu lernen! Denn das gehört für mich zum Kunst machen einfach dazu! Neues ausprobieren, Interaktion und Wachstum. Wenn meine Bilder es schaffen, für die Menschen die sie betrachten, Offenheit zu transportieren, die es braucht um neue Ideen und Gedanken zu entwickeln, um Dinge ganz einfach anderes wahrzunehmen, dann bin ich glücklich!

    So kann etwas wachsen, Kollaborationen können entstehen, Kollektive können sich formen und wer weiß vielleicht führen viele Gespräche, viele Begegnungen und viele geteilte Geschichten, Gedanken und Erfahrungen zur Bildung einer Gewerkschaft für Künstler*innen?

    Ich finde Künstler*innen dürfen sich heute mehr denn je trauen mutig zu sein! Die Zeit in der wir leben schreit danach! Denn irgendwann ist jeder Filter , jede Selfie-Pose und jede platte Attitüde, jeder schnöder Spruch und jede erbärmliche Oberflächlichkeit durchinszeniert. Die Menschen sehnen sich nach Ehrlichkeit, nach Verletzlichkeit, ja vielleicht kann man sagen, die Menschen sehnen sich nach etwas, das echt ist.

    „Die Arme könnten spielend Herkules umfangen,
    Sie eifern mit der Kraft von blanken Riesenschlangen“1
    
    Installation/Malerei
    to scalp an orchid to play a love game,170×140 cm, Acryl und Kreide auf Leinwand
    „hardy plants“, je 24 x 18 cm, Acryl, Kreide und Sprühfarbe auf Holzbox, 2023
    Der Schnitt, 200 x 150 cm, Acryl, Sprühfarbe und Kreide auf Papier, 2023

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    5.3.2023

    Doch langsam starten die Karrieren

    Rund um mich herum. Es sprudelt Sekt. Es wird toll frisiert und paraphrasiert. Ausdrucklose Augen. Attitüde statt Haltung. Auf 15 cm Diagonale. Touchscreen. Touch it. Touch the Artist! Ob es wohl früher einfacher war, als eine Künstler*innen-Persönlichkeit sich nicht der Diktion multinationaler Konzerne beugen musste? Als es noch nicht Social Media sondern „bloß“ sozialer Raum war, in dem es sich zu beweisen galt?

    Er existiert natürlich nach wie vor, dieser soziale Raum. Abseits von der schönen, neuen Welt der Online-Vermarktung müssen Künstler*innen sich nach wie vor auch persönlich verkaufen. Demnach steht es sich noch immer hervorragend auf Ausstellungseröffnungen! Und immerhin habe ich ja nun 1 neues Accessoire: Meine Augenringe. Oft war ich schon überrascht. Ich konnte richtig zusehen, wie Leute an mir vorbeiziehen. Es einfach besser schaffen, all die Anforderungen „des Marktes“ zu erfüllen. Besser, als ich es schaffe. Und ich gönne ihnen ihre Erfolge. Wirklich! Neid ist mir persönlich ja viel zu anstrengend. Aber nachdem ich ganz schön aus der Puste komme, mit meinem Pensum an bezahlter und unbezahlter Arbeit, frage ich mich immer wieder: Wie machen die das bloß? Woher kommt das Geld für die teure Kleidung? Müssen sie denn nicht Ateliermieten bezahlen? Und wie schaffen es all diese schönen Menschen abends immer so frisch auszusehen? Ich habe da bereits den ganzen Tag gearbeitet und sehe einfach nur müde aus.

    Einmal hat mich ein junger Kollege gefragt, warum ich nicht bildhauerisch arbeite. Ich könnte mir doch einfach mal ein großes Stück Metall bestellen und das bearbeiten. Nach einem 8-Stunden Tag muss ich mir so einen Schwachsinn anhören. Diese Dinge kosten sehr viel Geld. Und ich habe kein Geld. Ich höre sehr oft, dass jetzt die Zeit ist für mich. Jetzt ist die Zeit eine „Opening-Bitch“ zu sein. Eine die zu jeder Ausstellungseröffnung und auf jede Party rennt. Um die wichtigen Netzwerke aufzubauen, um Sichtbarkeit zu generieren. Meist hau ich zu früh von Partys ab.

    Auch wenn ich es ganz gut zu kaschieren weiß. Ich will ja niemandes Gefühle verletzten, aber ich finde es ganz einfach langweilig mich über oberflächliches Zeug zu unterhalten. Und über die Oberfläche gehen die Unterhaltungen leider oft nicht hinaus. Dabei hätte man doch bei einer Ausstellungseröffnung ein fantastisches Gesprächsthema : Die Kunst die ausgestellt wird. Sehr oft sind Ausstellungseröffnungen aber eine Kakofonie aus belanglosen Gelaber.

    Zu gerne würde ich auf Ausstellungseröffnungen öfter mal Leute treffen, mit denen ich mich nicht bloß über Kunst, sondern auch über „ganz normale Dinge“ unterhalten kann. Also Dinge, die für mich normal sind! Leute, denen das Gemüse langsam zu teuer wird. Leute, die nie einen Wein kennen, aber immer ein gutes Bier. Leute, die die Sonntage ihrer Kindheit auf Fußballplätzen und in Freibädern verbracht haben. Ist die Kunst denn nicht für „solche Leute“? Manchmal denke ich, jemanden zu erkennen. Aber alle verstecken sie so gut.

    Ich verstecke sie selber ja auch

    Und viele die Kunst machen, ausstellen oder verkaufen, so scheint es mir, kennen sie bloß aus Büchern. Haben über sie gelesen, bei Marx oder sonst wem. Niemand spricht offen über sie. Vielleicht hat man das mal, zu einer Zeit, als Bruno Kreisky noch Bundeskanzler von Österreich war.

    Sie ist vielleicht sichtbar an den Turnschuhen, den Zähnen, den Gesten oder der Sprache eines Menschen. Sie ist eine ganz Große. Und sie kommt so unscheinbar daher. Bildet fortwährend und verlässlich gläserne Decken, die nicht durchbrochen werden können. Sie ist weder eine ,Bubble‘ noch eine Entscheidung. Sie ist Wirkung und Ursache zugleich. Sie durchdringt jeden Teil unseres Lebens. Es wird Zeit, wieder mehr über sie zu sprechen. Und ich höre bereits Bobo-Augen rollen, höre Altlinke frohlocken. In Moll und in Dur stimmen sich alle ein, für ein kräftiges, lautes – Na, Klasse !

    13.2.2023

    Bestandsaufnahme

    Mein Leben. 33 Jahre. 2 Studienabschlüsse. 10 Jahre studiert, 8 davon mit Nebenjobs. 1 Wohnung. 1 Atelier. 2 Haustiere. 0 Kinder. 0 Ehemann*frau. 3 Jobs. 2 Hobbies. 1 Soziales Netz das hält und nährt.

    Ich bin weiß. Eine Mitteleuropäerin. Und ich habe großes Glück! Eine kleine Wohnung, die ich fast besitze. Warum fast? In diesem Moment bemerke ich, dass es mir höchstunangenehm ist, darüber zu schreiben. Nach außen hin wirke ich, wie eine „Bildungsgewinner*in“. Ein Arbeiter*innen Kind mit zwei Studienabschlüssen, sicheren Einkommen und einer Wohnung! Was will man denn bitte mehr? Aber von außen sieht man nicht, was mich das gekostet hat eine „Bildungsgewinnerin“ zu werden. Oder wie viele Jahre noch gespart werden muss, für die Wohnung. Ich möchte mich nicht selber auffalten, wie einen schönen Scherenschnitt. Für alle anzusehen. Ich halte nichts davon meine Identität, sei sie deplorabel für die einen, privilegiert für die anderen, zu utilisieren. Meine Identität ist bloß addition. Ja, ich bin Künstlerin. Aber Kunst transportiert sich selber.

    Wenn ich wirklich Glück habe, dann gelingt es mir offen zu sein. Für Begegnungen. Und darum geht es für mich. Also hier nicht meine ganze Geschichte. Es ist am Ende des Tages immerhin meine Geschichte und ich wähle die zeigbaren Fragmente aus. Kleine Brösel Ehrlichkeit, die ich einstreue in die oberflächliche Membran unserer Zeit. Jetzt muss alles nochmal größer, schneller und geiler werden. Die SUVs, die Schultafelgroßen Flachbildschirme, die letzten extraordinären Flugreisen, die größten Tunfischbrocken, die grellsten Instagram-Grinser. Bevor wir alle im Chor sagen werden: Das war es – das Zeitalter des Öls. Ich finde, nun ist ein guter Zeitpunkt um über eine ganz Große zu schreiben. Selten wird heute über sie gesprochen. Also fange ich jetzt einfach an.

    beauty salon © Chris Kroiss 2023

    Der kleine Unterschied

    Ich dachte mir nix dabei. Dass ich die Einzige in meinem Fachbereich an der Kunsthochschule war, die in der Hauptschule und nicht am Gymnasium gewesen ist. Ich dachte mir nix dabei. Dass ich die erste Person aus meiner Familie war, die studierte. Mein Papa, ein Landwirt, hat mich immer gut unterstützt. Mir jedes Semester extra Geld gegeben, damit ich Farben kaufen konnte, Leinwandstoff und all die andren teuren Materialien, die so ein Kunststudium fordert. An der Akademie der bildenden Künste ist es mir nicht sonderlich aufgefallen, dass ich irgendwie anders bin, als all die anderen.

    Mein abgeschlossenes Pädagogik-Studium hat mir geholfen, die WG-Miete zu bezahlen. Ich war vormittags in Vorlesungen, nachmittags habe ich als Förderlehrerin gearbeitet und abends war ich im Gemeinschaftsatelier malen. Ich habe studiert, gefeiert und gelernt. Ich war ehrgeizig. Meine Familie kann zwar nichts mit Kunst anfangen, aber wenn ich glücklich bin, sind sie das auch. Irgendwann gegen Ende meines Studiums, da hat mein Großvater mit mir 1 Gespräch geführt. Wir saßen draußen bei der Hausmauer, am Hof. Es war Sommer und heiß, zum Glück gibt der alte Nussbaum gut Schatten. Er sagte: „Pass auf, wir (unsere Familie) sind keine Kapitalisten. Bei uns vermehrt sich das Geld nicht von alleine. Du wirst sehr hart arbeiten müssen. Stell dich darauf ein.“ Damals fand ich das reichlich seltsam.

    Tor © Chris Kroiss 2023

    Die Zeit-Rechnung

    Vor eineinhalb Jahren habe ich dann diplomiert und es hieß „Tschüss Alma Mater. Hallo Welt“. Junge Künstler*innen bekommen keine Anstellungen, Honorare oder Verträge mit Galerien. Es gibt auch keine anderen gängigen, finanziell absichernden Parameter, die sich positiv auf die Künstler*innen-Existenz auswirken würden. Aber zum Glück habe ich ja auch Pädagogik studiert! Und so hängen meine Augenringe nun bis zur Nasenspitze. Mein Zeitmanagement ist präzise. Mein Alltag das Gegenteil von Instagram. Ich habe drei Jobs. Eine Vollzeit-Festanstellung, eine Arbeit auf Honorarnotenbasis und meine Arbeit als Malerin. Die Festanstellung macht ungefähr 35 Stunden pro Woche aus, die Arbeit auf Honorarnotenbasis ca. 5 Stunden pro Woche. Ich arbeite bereits 40 Stunden, wenn ich beginne, ‚für die Kunst zu arbeiten‘. In manchen Wochen schaffe ich es auf 2-3 Ausstellungseröffnungen zu gehen, das sind dann im Schnitt 6-9 Stunden, je nachdem wie lange die Abende werden. Unter Tags fahre ich in den Baumarkt und kaufe Holz, Farben, Spraydosen und vieles mehr. Organisatorische Arbeiten nehmen 1-2 Stunden pro Woche in Anspruch. Ich sitze zu Hause, recherchiere und lese. Schreibe und denke über meine Bilder nach. Das mache ich täglich 1-2 Stunden. Also pro Woche ca. 10 Stunden. Manchmal bewerbe ich mich bei einer Ausschreibung für: Ausstellung, Preis, Kunstankauf XY. Aber meistens nicht. Ich komme mir mit meinem Arbeitspensum an bezahlter Arbeit total verarscht vor, wenn ich die Anforderungen der diversen Ausstellungsmacher*innen und anderen Akteur*innen der Kunstwelt lese. Da soll ich unbezahlt 15-Seitige Konzepte einreichen. Finanzpläne aufstellen und vieles mehr. Und die Chance ausgewählt zu werden ist gering. Daumen mal Pi veranschlage ich im Monat 4 Stunden für Bewerbungen, mehr schaffe ich nicht. Für all die Arbeiten rund um die Kunst herum habe ich bereits um die 20 Stunden investiert, da habe ich noch keine Minute gemalt. Ich bin meine eigene kleine Manager*in. Und alle die sagen, der ganze Stress müsse nicht sein, es würde reichen sich im Atelier zu verschanzen, denen wünsche ich viel Vergnügen mit ihren romantisierten Vorstellungen vom ‚einfach so entdeckt werden‘. Vielleicht klappts ja für diejenigen, die sich am Ende des Monats ein Einhorn ins Gulasch schneiden, weil das Geld für die Kartoffeln nicht mehr reicht. Ich arbeite pro Woche bezahlt und unbezahlt um die 60 Stunden, und dann beginne ich zu malen. Das Malen selbst ist das pure Vergnügen! Wenn ich endlich im Atelier stehe, den Pinsel in die Hand nehme. Dann mache ich das, was ich machen will, was ich studiert habe. Nicht Betriebswirtschaft, nicht Marketing, sondern Malerei.

    Und nun finde ich es gar nicht mehr seltsam, was mein Großvater mir vor gut einem Jahr prophezeit hat.

    fleur du vendredi © Chris Kroiss 2023

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    Zitate

    1 Charles Baudelaire, Les Fleurs du Mal Die Blumen des Bösen, Französisch/Deutsch, Reclam, 1980, S. 155 aus dem Gedicht
    „Das schöne Schiff“